Kimberlé Crenshaw nimmt Rasse als Rechtsbegriff und seine juristische Wirkmacht ernst. Sie zentralisiert Rasse als Kategorie im Denken über Intersektionalität, und ihre Arbeiten zur Critical Race Theory führten sie zu intersektionalem Recht. Rasse, wie jedes Diskriminierungsmerkmal, ist oft nicht allein ausschlaggebend, sondern historisch schon immer mit anderen Merkmalen verbunden. Crenshaw hat hier vor allem die Kategorien Rasse und Geschlecht als verschränkte Exklusionsmerkmale exemplarisch sichtbar gemacht und als Verletzung von Gleichheitsrecht juristisch übersetzt. Aufbauend auf ihrer grundlegenden Forschung zur Critical Race Theory und Intersektionalität sind wir nun in der Lage, solche sich überlagernden und gegenseitig bedingenden Merkmale als juristisch fassbare Exklusion erkennbar zu machen, ihnen einen Namen zu geben und Forderungen nach Gleichheit präziser zu argumentieren.
In Deutschland trifft Denken über Intersektionalität in der Rechtswissenschaft langsam, aber vermehrt auf Zuspruch. In der Rechtsprechung spiegelte sich dies vielleicht am Prominentesten in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2015 wider. Das Gericht wies darauf hin, dass ein Verbot für Lehrpersonen, politische, religiöse, weltanschauliche oder ähnliche äußere Bekundungen in der Schule abzugeben, neben der Diskriminierung wegen der Religion zugleich eine Geschlechtsdiskriminierung darstellen kann. Von ihrem Regelungszweck her zielen diese Verbote auf kopftuchtragende muslimische Frauen, denn sie erfolgten zeitlich als unmittelbare Reaktion auf die erste Kopftuchentscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2003. In dieser hatte das Gericht den Landesgesetzgebern die Möglichkeit aufgezeigt, Kopftuchverbote in Form von Parlamentsgesetzen zu erlassen. In dieser Konstellation des Verbots wird die besonders nachteilig betroffene Gruppe der kopftuchtragenden Frauen erst an der Schnittstelle zweier typischer Diskriminierungsmerkmale sichtbar, nämlich Religion und Geschlecht.
Eine Frau, die Kopftuch trägt, wird nicht nur „als Frau“ diskriminiert (da nur nicht kopftuchtragende Frauen eingestellt werden) und nicht nur „als gläubige Muslima“ (da männliche Muslime und weibliche ohne Kopftuch eingestellt werden), sondern erst aufgrund des Zusammentreffens zweier Kategorien: Religion plus Geschlecht. Die wohl erstmalige juristische Verknüpfung von Religion und Geschlecht ist in ihrer Bedeutung für das Recht nicht zu unterschätzen und ermutigt, intersektionale Diskriminierungen auch in ganz anderen Konstellationen vor Gericht hervorzuheben.
Den Kopftuch-Fall hätte man jedoch mit Crenshaw lesen müssen: Die Konstellation von Religion und Geschlecht kann nicht ohne Rasse gelesen werden. Die „race- religion-constellation“ (A. Topolski, 2018) oder „the entanglement of race and religion“ (Aguilar/Ahmad, 2017) hat eine historische Tradition: mit Blick auf „Araber als Muslime“ und umgekehrt, hat sie Edward Said als Orientalismus (1979) beschrieben. Wenngleich er nicht mit der Kategorie Rasse gearbeitet hat, illustrierte er doch den orientalisierend- rassifizierenden, europäischen Blick der Hierarchisierung von Menschen. Die langanhaltende europäische Hierarchie zwischen christlich und nicht-christlich ist heute dem modernen Verständnis von säkular und religiös gewichen, produziert aber häufig die gleichen Exklusionen. Diese werden vor allem dann wirkmächtig, wenn das Religiöse gerade anhand von Kleidung und gelebter oder juristisch eingeforderter Praxis sichtbar wird.
Was Religion mit Rasse gemein hat, ist, dass beide als Diskurs der „Differenz“ eingesetzt werden und als anders, bedrohlich und „natürlich“ rückständig dargestellt werden. Religion wird also rassifiziert und damit zugleich riskiert, ihr einen geringeren staatlichen Schutz zuzusichern. Während man sich vielerorts in Europa von Rasse als biologischem Konzept verabschiedet hat, stellt man fest, dass mit dem Verweis auf Religion, vor allem dem Islam, ein Exklusionsargument akzeptiert wird, das rassifiziert aufgeladen ist.
So wird beispielsweise von der Generalanwältin am Europäischen Gerichtshof, Juliane Kokott, in ihren Schlussanträgen zum Fall Achbita 2017 gefordert, dass man das Kopftuch doch, anders als die Hautfarbe, an der Garderobe abgeben könne. Dies unterschätzt das angedrohte Gewaltpotential einer solchen erzwungenen, gewalttätigen und top-down Inklusion, die eben nur unter Aufgabe eines für die Betroffenen konstitutiven Praxis selbst möglich wäre. Eine solche Position sagt eben auch aus, dass sie die andere, muslimische Identität nur anerkennt, wenn ihr das Anderssein nicht mehr sichtbar anhaftet oder man es anerkennen muss.
Für die Erforschung des Verhältnisses von Religion, Rasse und Geschlecht als rechtliche Kategorien sind Crenshaws Arbeiten vital – nicht nur, aber auch um die rechtliche Situation von muslimischen Frauen mit Kopftuchin Deutschland und Europa zu verstehen oder aber um zu verstehen, welche Überlappungen es zwischen „racial profiling“ und „religious profiling“ gibt, gerade auch für das männliche Geschlecht. Damit eröffnet sie mir die Möglichkeit, in den Feldern „Critical Race Theory Europe“ sowie „Intersectional Justice“ mitzuwirken und US-amerikanische Rechtskontexte für europäische Rechtsfragen weiterzudenken. Es ermöglicht mir auch, gemeinsam mit Kimberlé – als Wissenschaftlerin und vor allem als Schwester – meine deutschen Kolleg*innen einzuladen, gemeinsam Religion, Rasse und Geschlecht expliziter in den Forschungsblick zu nehmen.